Kapitel 3

Basisdaten

3.1 Flucht aus Afghanistan

3.2 Bevölkerungswachstum und Altersstruktur

3.3 Bildung

3.4 Gesundheitsversorgung

2.5 Wirtschaftliche Lage

2.6 Humanitäre Lage

Kapitel 3.1
Basisdaten Flucht Frauen - Aufklärungsforum Afghanistan

Flucht aus Afghanistan

Laut Angaben der Vereinten Nationen waren Ende 2021 weltweit 2,6 Millionen afghanische Flüchtlinge registriert. Von diesen hielten sich 2,2 Millionen in den Nachbarländern auf. Zusätzlich gab es 3,5 Millionen Binnenvertriebene, zu denen seit 2021 nochmals 800.000 neue Binnenvertriebene hinzugekommen sind. Frauen und Kinder stellten im Jahr 2021 rund 80 Prozent der afghanischen Flüchtlinge dar (UNHCR 2024).

Kapitel 3.2
Bevölkerungswachstum und Altersstruktur in Afghanistan - Aufklärungsforum Afghanistan

Bevölkerungswachstum und Altersstruktur

Das Bevölkerungswachstum Afghanistans ist durch eine hohe Geburtenrate und eine sehr junge Altersstruktur geprägt. Im Jahr 2020 lag die statistische Geburtenrate bei 4,2 Kindern pro Frau. Trotz mehrerer Kriege wuchs die afghanische Bevölkerung zwischen 1980 und 2020 nahezu auf das Dreifache an – von 13,4 Millionen auf 40,2 Millionen Menschen (WBOD 2024).

Für das Jahr 2021 weist der UNHCR folgende Altersstruktur aus (UNHCR 2024):

43,4 % der Bevölkerung waren zwischen 0 und 14 Jahren,

54,2 % zwischen 15 und 64 Jahren,

2,4 % waren 65 Jahre oder älter.

Kapitel 3.3
Bildung in Afghanistan - Aufklärungsforum Afghanistan

Bildung

Kapitel 3.3.1

Bildung in Afghanistan bis 2021

Im Jahr 2001 stellte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) fest, dass es in Afghanistan keine Mädchen in Schulen gab. Bis 2021 stieg die Zahl der Schülerinnen jedoch auf 2,5 Millionen (Bamf 2022).

Zwischen 2001 und 2018 verzehnfachte sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler insgesamt auf über zehn Millionen. Parallel dazu erhöhte sich die Alphabetisierungsrate von 18 % auf 43 %. Laut Schätzungen aus dem Jahr 2018 waren 56 % der Männer und 30 % der Frauen ab 15 Jahren schreib- und lesekundig (Bmz 2024).

Nach Angaben des Bildungsministeriums befanden sich über neun Millionen Kinder und Jugendliche in schulischer Ausbildung. Der Anteil der Mädchen an der Gesamtschülerzahl lag bei rund 39 %. Dennoch blieben etwa 40 % aller Kinder im schulpflichtigen Alter (davon etwa 50 % der Mädchen) ohne regelmäßigen Schulbesuch. Eine Erhebung aus Juni 2018 zeigte, dass 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren keine Bildungseinrichtung besuchten – verursacht durch anhaltende Konflikte, hohe Armutsraten und die Diskriminierung von Mädchen.

Insgesamt existierten in Afghanistan 14.888 allgemeinbildende Schulen, davon:

6.211 Grundschulen (sechsjährig),

3.856 Untere Sekundarschulen,

4.821 Obere Sekundarschulen.

Darüber hinaus gab es 162 Berufsschulen sowie 1.068 islamische Schulen (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation 2016).

Kapitel 3.3.2

Bildung in Afghanistan seit 2021

Die Taliban veranlassten einen Monat nach ihrer erneuten Machtübernahme die Wiedereröffnung von Grundschulen (bis einschließlich der 6. Klasse) für Jungen und Mädchen. Dennoch bleibt der Zugang von Mädchen zur Grundschulbildung eingeschränkt.

Die Taliban ordneten an, dass Mädchen ausschließlich von Lehrerinnen unterrichtet werden dürfen. Da jedoch vor der Machtübernahme nur 34 % des Lehrpersonals weiblich waren, konnten viele Schülerinnen und Schüler aufgrund des Mangels an Lehrerinnen nicht oder nicht ausreichend betreut werden (Bamf 2024a).

Kapitel 3.4
Gesundheitsversorgung in Afghanistan - Aufklärungsforum Afghanistan

Gesundheitsversorgung

Das afghanische Gesundheitssystem wies insgesamt eine sehr geringe Qualität auf. Laut einem Bericht von Human Rights Watch (Mai 2021) betrug das Verhältnis von Ärzten, Krankenpflegern und Hebammen zur Bevölkerung lediglich 4,6 pro 10.000 Personen. Im Jahr 2017 lag die Zahl der Psychiater bei nur 0,023 pro 10.000 Einwohnern. Die medizinische Versorgung war in den Städten deutlich besser als in den ländlichen Gebieten.

Grundsätzlich war die Versorgung zwar kostenlos, allerdings mussten Patientinnen und Patienten häufig die notwendige Ausstattung sowie Medikamente selbst bezahlen. Dies führte zu gravierenden Problemen, etwa bei der Müttersterblichkeit, die zwar zwischen 2000 und 2017 von 1.450 auf 638 Fälle pro 100.000 Lebendgeburten sank, aber immer noch weit über dem weltweiten Durchschnitt von 211 pro 100.000 lag. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen lag 2020 bei 66,7 Jahren und damit rund acht Jahre unter dem globalen Durchschnitt (Bamf 2024b).

Nach der Machtübernahme der Taliban brach das zu 80 % aus dem Ausland finanzierte staatliche Gesundheitssystem weitgehend zusammen. Die öffentliche Versorgung, die zuvor über das Gesundheitsministerium von nichtstaatlichen Organisationen organisiert war, verlor ihre wichtigste Finanzierungsquelle. Viele Einrichtungen konnten weder Material beschaffen noch ihr Personal bezahlen und mussten schließen. Laut Studien verfügen 35 % der Gesundheitseinrichtungen nicht über sauberes Trinkwasser. Investitionen in das Gesundheitssystem wurden durch die Taliban stark reduziert, ein langfristiger Finanzierungsplan existiert nicht.

Einen Großteil der Kosten übernahmen in der Folge die Vereinten Nationen, jedoch nur kurzfristig und unzureichend. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) übernahm für zwei Jahre die Verantwortung für einige Einrichtungen, erklärte aber, die langfristige Finanzierung nicht sichern zu können. Vereinzelt wurden Kliniken durch Spenden der afghanischen Diaspora unterstützt.

Für viele Familien stellten die weiten Wege zu medizinischer Versorgung und die Kosten das größte Hindernis dar. Eine Behandlung im Ausland war für die meisten unerschwinglich. Besonders betroffen waren Frauen:

Es gibt nicht genügend weibliches Gesundheitspersonal.

In vielen Regionen dürfen Frauen Gesundheitseinrichtungen nicht alleine aufsuchen.

Familien sind oft weniger bereit, Geld für die Versorgung von Frauen und Mädchen auszugeben.

Diese Faktoren führten dazu, dass Frauen in besonderem Maße unter der unzureichenden medizinischen Versorgung leiden (Bamf 2024a).

Kapitel 3.4.1

Verfügbarkeit von Medikamenten

Seit der Machtübernahme der Taliban ist eine Zunahme von Schwierigkeiten beim Import von Medikamenten zu beobachten. Ursachen dafür sind unter anderem Einschränkungen bei internationalen Zahlungen sowie häufige Unterbrechungen des Handels mit Pakistan.

Schon vor 2021 gelangten viele Medikamente über Schmuggelrouten nach Afghanistan, wodurch ein unregulierter Markt entstand. Seit der Machtübernahme hat sich diese Problematik jedoch deutlich verschärft. Große internationale NGOs sind inzwischen dazu übergegangen, ihre eigenen Medikamente zu importieren. Für kleinere Organisationen ist dieses Vorgehen jedoch nicht umsetzbar, was deren Handlungsspielräume erheblich einschränkt (Bamf 2024a).

Kapitel 3.4.2

Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen

Die unzureichende Gesundheitsversorgung hat besonders für schwangere und gebärende Frauen gravierende Folgen. Laut Untersuchungen von Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat sich die Zahl akut unterernährter schwangerer und stillender Frauen im Vergleich zum Vorjahr um 76 % erhöht.

Da viele Regionen nur schwer Zugang zu medizinischen Einrichtungen mit adäquater Geburtshilfe haben, müssen zahlreiche Frauen ihre Kinder weiterhin zu Hause ohne fachgerechte Betreuung zur Welt bringen. Die Müttersterblichkeitsrate liegt bei 620 pro 100.000 Lebendgeburten – der höchste Wert in ganz Asien.

Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl weiter steigen wird, da aufgrund der Einschränkungen im Bildungssystem kein neues weibliches Gesundheitspersonal mehr ausgebildet werden kann (Bamf 2024a).

Kapitel 3.4.3

Infektionskrankheiten

Unter anderem aufgrund weit verbreiteter Unterernährung und des Mangels an sauberem Trinkwasser ist das ohnehin schwache Gesundheitssystem Afghanistans mit einer Vielzahl vermeidbarer Krankheiten überlastet. Immer wieder kommt es zu Ausbrüchen von Infektionskrankheiten wie Masern, Polio und Cholera.

Die unzureichende medizinische Versorgung gilt als Hauptgrund für die Entstehung und schnelle Ausbreitung dieser Krankheiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete im Januar 2024 von einer signifikanten Zunahme akuter Atemwegsinfektionen, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren. In den ersten drei Wochen des Jahres 2024 starben 292 Menschen an diesen Infektionen (Bamf 2024a).

Kapitel 3.5
Wirtschaftliche Lage Afghanistans - Aufklärungsforum Afghanistan

Wirtschaftliche Lage

Bereits vor der Machtübernahme der Taliban war das afghanische Wirtschafts- und Finanzsystem von erheblichen Defiziten geprägt und in hohem Maße von internationalen Finanzmitteln abhängig. Im Jahr 2020 machten internationale Hilfsgelder rund 43 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Auch der Finanzsektor war davon bestimmt: Der US-Dollar spielte eine zentrale Rolle, da die US-Regierung die afghanische Zentralbank (DAB) regelmäßig mit Devisen versorgte. Diese wurden in Kabul versteigert, um den Wert des Afghani (AFN) zu stabilisieren. Während Privatpersonen im Alltag den Afghani nutzten, erfolgte der Handel weitgehend in US-Dollar. Rund 60 % der Bankeinlagen lagen daher in ausländischer Währung, überwiegend USD. Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach dieses fragile System zusammen. Der Wegfall internationaler Geldflüsse und der Zugriff auf Devisenreserven führten zu einer anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise (Bamf 2024a).

Lebenshaltungskosten: Seit Sommer 2021 stiegen die Kosten deutlich. Verantwortlich waren die Finanz- und Wirtschaftskrise, steigende Importkosten für Lebensmittel infolge des Ukrainekriegs sowie temporäre Grenzschließungen. Zwar sanken laut Weltbank die Weizenpreise 2023, doch Grundnahrungsmittel wie Reis und Brot blieben deutlich teurer als vor der Machtübernahme (Bamf 2024a).

Arbeitslosigkeit: Nach 2021 kam es zu massiven Entlassungen, insbesondere von Staatsangestellten, Frauen und Angehörigen ethnischer Minderheiten. Auch private Unternehmen bauten Personal ab. Die Nachfrage nach Arbeit wuchs stark, bedingt durch das Bevölkerungswachstum und die prekäre Lage vieler Haushalte. Auffällig war der Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen, die dreimal so häufig wie 2020 einer Arbeit nachgingen – meist jedoch in häuslichen Tätigkeiten wie Nähen oder Kochen. Unter Männern blieb die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau stabil, während sie bei jungen Männern zwischen 14 und 25 Jahren zunahm. Zusätzlich strömten aus Pakistan und Iran ausgewiesene Afghanen auf den Arbeitsmarkt. Laut Weltbank blieb jeder dritte junge Mann ohne Arbeit, bei jungen Frauen lag die Quote noch höher. Selbst Beschäftigte war oft unterbeschäftigt. Eine Verbesserung der Lage prognostiziert die Weltbank nicht (Bamf 2024a).

Löhne: Nach ihrer Machtübernahme verweigerten die Taliban zunächst die Auszahlung von Gehältern an Staatsangestellte. Ab März 2022 wurden Zahlungen zwar wieder aufgenommen, jedoch deutlich gekürzt. Viele Beschäftigte wurden zudem auf niedrigere Posten versetzt, während Talibankämpfer bevorzugt in höhere Positionen aufrückten. Renten ehemaliger Angestellter werden meist nicht mehr gezahlt. Viele Menschen wichen in die Selbstständigkeit aus, was jedoch zu instabilen Einkommen führte. Im März 2024 verdienten ungelernte Tagelöhner 305 AFN (4,19 USD) pro Tag bei durchschnittlich zwei Arbeitstagen pro Woche. Für Fachkräfte lag der Tageslohn bei 637 AFN (8,45 USD). Angesichts des Minimum Expenditure Basket (MEB) sind mehrere Einkommen pro Familie notwendig, um das Existenzminimum zu sichern (Bamf 2024a).

Armutsrate: Im Jahr 2023 hatten 62 % der Haushalte nur ein unzureichendes oder gerade ausreichendes Budget für Lebensmittel – oft nur durch den Verzicht auf andere Grundbedürfnisse. Da weder eine wirtschaftliche Erholung absehbar ist, noch die humanitäre Hilfe dauerhaft gesichert scheint, wird die Armutsrate voraussichtlich wieder steigen (Bamf 2024a).

Soziale und familiäre Netzwerke: Angesichts instabiler oder fehlender staatlicher Strukturen spielen Familiennetzwerke eine zentrale Rolle. Sie bieten Schutz in Zeiten von Krieg, politischer Krise und Naturkatastrophen. Unterstützung erfolgt etwa durch Heiratsstrategien, Migration oder durch Einschränkungen bei Bildung. Die angespannte ökonomische Lage begrenzt jedoch zunehmend die Ressourcen, sodass viele Familien weniger in der Lage sind, Angehörige oder andere Haushalte zu unterstützen (Bamf 2024a).

Kapitel 3.6

Humanitäre Lage

Die Situation in Afghanistan wird auch als „Gleichgewicht der Hungersnot“ bezeichnet. Zwar hat sich die Lage teilweise stabilisiert, doch weiterhin sind viele Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, um nicht zu verhungern.

Im Februar 2024 waren rund 15,8 Millionen Menschen – also fast 40 % der Bevölkerung – von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Unter ihnen befanden sich 5 Millionen Menschen, darunter 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren, die an akuter Unterernährung litten. Die Daten des Welternährungsprogramms zeigen, dass der Anteil der von Ernährungsunsicherheit betroffenen Bevölkerung zwar im Verlauf von 2023 zurückgegangen war, seitdem aber wieder leicht gestiegen ist.

Verschiedene VN-Organisationen, einzelne Länder und NGOs versuchen, die Auswirkungen der Krise durch Hilfsprogramme abzumildern. Dennoch bleibt die Zahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen hoch: 2022 waren es 24,3 Millionen, im Februar 2024 noch 23,7 Millionen.

Ein gravierendes Problem ergibt sich aus den Taliban-Gesetzen vom Dezember 2022, die es afghanischen Frauen verbieten, für NGOs und internationale Organisationen zu arbeiten. Viele Hilfsprojekte mussten seither eingestellt werden, andere erreichen insbesondere von Frauen geführte Haushalte nicht mehr. Diese machen rund 10 % aller Haushalte in Afghanistan aus. Aufgrund der strikten Geschlechtertrennung im Land ist es für Hilfsorganisationen ohne Mitarbeiterinnen kaum möglich, direkten Zugang zu diesen Familien zu finden (Bamf 2024a).